Alle Neune mit: Alexander Krichel, Klaviervirtuose
"Alle Neune mit: Alexander Krichel – Klaviervirtuose
Ein heißer Nachmittag in Ludwigshafen. Wir treffen uns im Gesellschaftshaus der BASF, denn Alexander Krichel, einer der renommiertesten Pianisten seiner Generation, hat sich auf eine Partie Kegeln eingelassen. Bei „Alle Neune mit…“ steht der sympathische Musiker nicht nur sportlich, sondern auch im Gespräch Rede und Antwort. Und das auf eine so ehrliche, warme und kluge Weise, dass man glatt vergisst, dass er eigentlich mit den Tasten spricht.
„Das ist jetzt mein erster Kegelwurf seit 20 Jahren“, sagt Alex (so darf man ihn nennen) und lacht. Gemeinsam mit Gastgeber Andy geht’s locker los: fünf Würfe zum Warmwerden, ein bisschen Technikvergleich, denn die richtigen Profis spielen ohne Löcher!
Andy Wie sehr beeinflusst wirtschaftlicher Druck dein künstlerisches Schaffen?
Alex Zum Glück immer weniger. Aber gerade zu Beginn der Karriere ist das natürlich ein Riesenthema – als Student, als junge Künstlerin oder Künstler muss man natürlich irgendwie überleben. Aber mittlerweile kann ich zum Glück sehr frei entscheiden und auf Basis der Kunst sagen, was ich machen möchte und was nicht.
Andy Das heißt, du hast dir mit der Zeit ein Standing erarbeitet, das dir erlaubt, "Nein" zu sagen?

Alex Also, sagen wir so: Kompromisse einzugehen und mich anzupassen, war nie wirklich meine Stärke. Aber das ist natürlich auch immer ein Problem. Gerade wenn man ein junger Künstler oder eine junge Künstlerin ist, steht einem das manchmal im Weg, weil nun bestimmte Erwartungshaltungen da sind – und man selbst möchte eigentlich etwas ganz anderes. Das, was man selbst möchte, und das, was zum Beispiel der Markt oder die Partner von einem erwarten ist nicht immer das gleiche. Man arbeitet ja mit Agenturen, Managements, Plattenfirmen, eventuell mit Sponsoren oder Orchestern zusammen, bei denen man eine Residenz hat oder Ähnliches. Natürlich muss man auch kooperativ sein. Ich finde, das eine Extrem sind Künstler, die alles mit sich machen lassen und sich nur nach dem richten, was Erfolg bringt. Das andere Extrem sind diejenigen, die sagen: „Ich mache nur, was ich will, und mir ist alles andere völlig egal.“ Eigentlich ist es gesund, sich irgendwo dazwischen zu bewegen – vielleicht zwischen 20 und 80 Prozent, wenn man so will. Man muss sich überlegen: Wo mache ich Kompromisse? In der Musik selbst mache ich sie nie. Aber wenn es zum Beispiel um das Repertoire geht, bin ich durchaus gesprächsbereit – das muss man ja auch sein.
Andy Hast du konkret Dinge abgelehnt, bei denen du gesagt hast, das ist zu weit von dem entfernt, was ich machen möchte?
Alex Ja, immer wieder. Es gibt Angebote, die einfach nicht zu mir passen – sei es vom Repertoire oder von der Art der Zusammenarbeit. Ich versuche Kompromisse nur dort zu machen, wo es nicht um den Kern meiner Kunst geht. In der Musik selbst mache ich keine Abstriche. Aber wenn es ums Drumherum geht – Programmauswahl, Konzertformate – dann bin ich offen für Gespräche. Das Publikum möchte ja auch wissen, wenn es ein Konzert von Alexander Krichel besucht: Was erwartet mich dort, und was für ein Künstler ist Alexander Krichel? Ich denke, das ist natürlich ein Prozess, der niemals abgeschlossen ist. Ich glaube, ich werde mich bis zum Ende meiner Karriere immer wieder verändern – vielleicht spiele ich in 20 Jahren ein ganz anderes Repertoire und in anderen Konstellationen. Aber ich finde, es muss sich immer authentisch und natürlich anfühlen.
Andy Ist das Interpretieren klassischer Werke im Grunde nicht dasselbe wie ein Coversong?

Alex Nein, auf keinen Fall. Das ist schwer zu erklären. Ich glaube, es geht auch um die Komplexität klassischer Musik im Vergleich zu einem Popsong. Musikwissenschaftlich lässt sich das leicht erklären, aber ich denke, dass in diesen klassischen Werken so viel Inhalt steckt, dass es als Künstler so viele Freiheiten gibt, dass das Interpretieren eigentlich fast so vollwertig ist wie das Komponieren.
Andy Du spielst in einem Konzert gleich drei Werke von Maurice Ravel. Man kann dies auch als "musikalischen Selbstmord" bezeichnen. Warum tust du dir das an?
Alex (lacht) Weil ich Ravel liebe! Diese Werke zeigen so viele Facetten – von der Leichtigkeit in Le Tombeau de Couperin bis zur düsteren Tiefe in Gaspard de la nuit, das wahrscheinlich das schwerste Klavierstück überhaupt ist. Es ist natürlich eine enorme körperliche und geistige Herausforderung, aber genau das reizt mich.
Andy Geht es dabei auch darum, technisches Können zu zeigen? Oder ist nicht auch gerade das ein sportliche ein Anreiz?
Alex Das ist eine gute und auch eine lustige Frage, denn tatsächlich war dieses Stück eines der ersten, die ich zu Beginn meines Studiums gelernt habe. Der Grund war, dass ich meinen Mentor gefragt habe: „Was ist das schwerste Stück, das je für Klavier komponiert wurde?“ – also für Solo-Klavier. Darauf möchte man einem 16-Jährigen natürlich eigentlich nicht antworten, aber er hat es dann doch getan und „Gaspard de la nuit“ genannt. Das ist also das letzte Stück, das ich auch hier spielen werde. Und dann habe ich es gelernt – einfach, weil dieser sportliche Anreiz da war: Ich dachte, das ist das Schwierigste, das will ich jetzt direkt lernen. Mit den Jahren merkt man aber, wie viel Inhalt in dieser Musik steckt – wie viel musikalischer und menschlicher Gehalt darin liegt. Und dass all diese Technik, dieser pianistische „Horror“, eigentlich nur ein Mittel zum Zweck ist: Es ist das Ausdrucksmittel von Ravel. Es geht nicht anders, diese Dunkelheit und Intensität darzustellen, als durch diese extreme Virtuosität.
Andy Erreicht klassische Musik nicht nur eine kulturelle Elite? Und wie inklusiv kann Klassik wirklich sein?
Alex Maximal inklusiv. Ich glaube, dass klassische Musik durch ihre verschiedenen Schichten tatsächlich jeden erreichen kann. Das oft als „verstaubt“ empfundene Image stammt meiner Meinung nach nicht von der Musik selbst, sondern vielmehr von den Menschen und Strukturen drumherum. Ich komme ja aus einer ganz normalen Familie, also aus einer Nichtmusikerfamilie. Dadurch bin ich auch außerhalb der Musik relativ normal aufgewachsen. Natürlich hatte ich Musikerfreunde, aber ebenso Freunde, die einfach ganz normal zur Schule gegangen sind und mit denen ich wie jeder andere befreundet war. Das Interessante ist: Diese Freunde sind oft zu meinen Konzerten gekommen – nicht wegen der klassischen Musik, sondern weil sie dachten, wir sind befreundet, wir gehen mal ins Konzert. Später bin ich zum Studium erst nach Hannover und dann nach London gezogen, und trotzdem sind einige von ihnen bei der klassischen Musik „hängen geblieben“. Ich glaube, man braucht einfach eine Art Aktivierungsenergie. Viele haben tatsächlich Angst vor dem ganzen Ritual rund ums Konzert: Sie wissen nicht, was sie anziehen sollen, wie sie sich verhalten müssen, wann man klatscht, wann man hustet, wann Pause ist. Ich denke, dieses ganze Zeremoniell schreckt viele junge Menschen ab. Wenn man ihnen aber sagt, dass es uns Künstlerinnen und Künstlern heute wirklich darum geht, dass sie da sind und sich in der Musik fallen lassen, dann nimmt das viel von dieser Angst. Ich glaube, dieses Bewusstsein ist bei vielen jungen Menschen noch nicht wirklich angekommen.
Wer noch tiefer in das Thema einsteigen und Alexanders Lieblingsmusik erfahren möchte, findet das Interview in voller Länge auf unserem YouTube-Kanal.

Text: Andy Heinrich, Bilder: WOW
Andy ist echter Ludwigshafener. Er weiß welche Treppe in der Innenstadt wie viele Stufen hat. Außerdem findet er, Ludwigshafen kann was. Deshalb möchte er zeigen, was seine Heimatstadt zu bieten hat. Er betreibt er mit seinen Kolleg*innen das WOW Magazin und initiiert eine Vielzahl von Kulturprojekten.

Text: Andy Heinrich
Bilder: WOW & Murat Bilir
Andy ist echter Ludwigshafener. Er weiß welche Treppe in der Innenstadt wie viele Stufen hat. Außerdem findet er, Ludwigshafen kann was. Deshalb möchte er zeigen, was seine Heimatstadt zu bieten hat. Er betreibt er mit seinen Kolleg*innen das WOW Magazin und initiiert eine Vielzahl von Kulturprojekten.