Ludwigshafen nach Bezirken – ein Fotoprojekt
Ludwigshafen nach Bezirken – ein Fotoprojekt
Im Januar 2021, mitten im zweiten Corona-Lockdown, fragte sich der Ludwigshafener Fotograf Rainer Zerback, an welchem fotografischen Projekt er derzeit arbeiten könnte. Seine beiden Hauptprojekte konnte er zu dieser Zeit nicht weiterführen: Für sein Projekt »Places of Interest« hätte er an Orte voller Menschen reisen müssen, und sein Projekt »Amazones« hätte er nur auf Veranstaltungen oder in der Begegnung mit Menschen fortsetzen können. Beides war nicht möglich. Die Frage blieb offen, bis er das Fotoprojekt »Stuttgart nach Zahlen« der befreundeten Stuttgarter Fotografin Marcella Müller sah, die die Stadt Stuttgart in Planquadrate eingeteilt und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, in jedem dieser Planquadrate ein Bild aufzunehmen. Dies inspirierte ihn zu einem Projekt mit dem Arbeitstitel »Ludwigshafen nach Bezirken«. Ludwigshafen besteht aus 44 Stadtbezirken, und Zerback nahm sich vor, in jedem dieser Stadtbezirke ein Foto zu machen. Ihm war von Beginn an klar, dass es nicht bei dieser Vorgabe bleiben konnte und dass es noch etwas anderes würde geben müssen, das die Bilder dieser Serie miteinander verbindet.
»Ich wohne in Ludwigshafen-Gartenstadt. Ich nahm mir als erstes den Ludwigshafener Norden vor, den ich praktisch überhaupt nicht kannte«, berichtet Zerback. Aber auch in den Bezirken der anderen Stadtteile war Zerback unterwegs. Obwohl er schon seit über drei Jahren in Ludwigshafen lebt, hat er die Stadt auf diesen Erkundungen erst richtig kennengelernt. »Mir ist dabei bewusst geworden, wie groß die Stadt insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg gedacht, wie visionär sie städtebaulich angelegt wurde.« So entstand in kurzer Zeit eine immense Sammlung an Bildern, und mehr und mehr Stadtbezirke waren »abgehakt«. Allerdings zeigte sich auch sehr schnell, dass es Stadtbezirke gab, die fotografisch ergiebiger waren und weit mehr als nur ein interessantes Bild hergaben, und andere, die fotografisch weniger attraktiv waren und nur mehr oder weniger abgewandelte Wiederholungen bereits vorhandener Bilder erlaubten.
Und es gab weitere Entwicklungen während der Arbeit am »Bezirksprojekt«. Ludwigshafen trägt ja – zu Recht oder zu Unrecht – den unrühmlichen Titel »hässlichste Stadt Deutschlands«. Jedenfalls war es für Zerback unumgänglich, sich mit diesem Attribut auseinanderzusetzen. »Mir war klar, dass ich mich auf eine Gratwanderung einlasse, bei der es galt und gilt, weder nach der einen noch nach der anderen Seite abzustürzen. Weder sollten die Bilder den Ruf Ludwigshafens bestätigen, noch sollten sie ihn gezielt wiederlegen. Das klischeehafte Narrativ von Betonbrutalismus und unwirtlicher Hochstraßenarchitektur sollte ebenso vermieden werden wie das einer schönfärbenden Imagebroschüre. Es sollte um ein zurückhaltendes, neutrales Zeigen gehen, und es sollte dem Betrachter überlassen bleiben, was er in den Bildern, den Bezirken, in der Stadt sehen will.« Diese Wertung wollte der Fotograf nicht selbst vornehmen. Dafür galt es, die Stadt in ihrer gesamten Vielfalt und Bandbreite zu zeigen, weder nur ausgesucht hässliche, noch ausgesucht schöne Orte. Doch damit nicht genug. Die Bilder sind durchweg von erhöhten Standpunkten aufgenommen und nie Close-ups. Zerback bleibt buchstäblich auf Distanz, er zeigt mit seiner Bildsprache die Topographie der Orte, die er fotografiert. Durch diesen Kunstgriff entzieht sich Zerback einer wertenden Beschreibung.
Auf diese Weise hatte das Projekt über das verbindende Element der Bezirkseinteilung hinaus seine formale und inhaltliche Festlegung bekommen. Und noch etwas ist Zerback wichtig:
»Ich will nicht, dass das Projekt nur als lokales Fotoprojekt wahrgenommen wird, das lediglich für Menschen und Betrachter aus der Region interessant ist. Die Bilder von Ludwigshafen sollen auch beispielhaft für andere Städte sein, deren Situation vergleichbar ist, die in einer ähnlichen Strukturkrise und einem ähnlichen Strukturwandel stehen. Wenn man so will, soll es auch eine exemplarische soziologische Studie sein: Wie leben, wohnen, arbeiten Menschen in Deutschland im postmodernen, neoliberalistisch geprägten Zeitalter des frühen 21. Jahrhunderts?«
Zerback arbeitet weiter an dem Projekt und geht davon aus, dass er dies noch zwei oder drei Jahre tun wird, um ein repräsentatives Spektrum der Stadt abzubilden. Er könnte sich vorstellen, dass die Bilder in einer Ausstellung gezeigt oder als Buch veröffentlicht werden. Auch wenn am Ende nur 30, 40 oder 50 Bilder den Weg in eine Ausstellung oder ein Buch finden sollten und er schon Hunderte Aufnahmen hat, soll der Fundus weiter wachsen, damit eine großzügige Auswahl der besten und treffendsten Bilder möglich ist.
Zurzeit zeigt Zerback die Ausstellung »Recent Topographics« im Raum S4.17, der ehemaligen Stadtgalerie, in Mannheim. Die Ausstellung endet am 27.11. um 17 Uhr mit einem Künstlergespräch.