Mit Powerapplaus und Poetikfeuer zum SlamChampion im Hausboot
Mit Powerapplaus und Poetikfeuer zum SlamChampion im Hausboot
Boings und Fujis fliegen durch die Luft, sensible Papageientaucher treffen auf applaudierende Katzen, fingerschnipsende Faultiere auf lachende Wölfe und total überraschend: Völlig Fremde wachsen von jetzt auf gleich zu einer Vertrauensgemeinschaft zusammen.
Das alles passiert, wenn man die Kiezpoetin Anna Lisa Azur zusammen mit 20 Poetry-Begeisterten, etwas heißem Tee, ein paar Süßigkeiten, Papier und Stiften in einem Raum einschließt. Um Himmels Willen nein, wir wurden natürlich nicht eingeschlossen und konnten jeder Zeit das Hausboot verlassen – doch das passierte nicht. Obwohl der ein oder die andere etwas verspätet zur Tischrunde eintraf, wollte keiner mehr freiwillig gehen. Denn als Anna Lisa mit einem lauten „Moin“ die angehenden Poet:innen begrüßte, versprühte sie mit ihrer direkten, witzigen, charmanten Art jede Menge Poetikfeuer! Und dies soll eventuell auch eine witzige Anspielung auf ihre Haarfarbe sein, aber auf jeden Fall die Atmosphäre beschreiben, die sich zwischen den Teilnehmenden entwickelte. Ergreifend, emotional und witzig. Diese Worte beschreiben das Miteinander der doch sehr bunten Gruppe ziemlich treffend. Ein Abend voller Anspannung, Lachen und Mitgefühl – Gänsehautmomente inklusive. Denn wer PoetrySlam macht, der muss vor allem eines können: Menschen authentisch berühren.
Doch worüber schreibe ich hier überhaupt? Was ist eigentlich ein PoetrySlam?
Für alle, die ihn nicht kennen: Ein Poetry Slam ist ein literarischer Wettstreit. Die Slamer:innen tragen innerhalb einer vorgegebenen Zeit (diese beträgt ca. sieben Minuten) selbstverfasste Texte einem Publikum vor. Dieses entscheidet im Anschluss, wer zum Slamchampion gekürt und folglich mit Sieg, Ruhm und Ehre überschüttet wird.
Nach und nach trafen erwartungsvolle Gesichter im Kulturcafé Hausboot ein. „Ist der Platz hier noch frei?“, fragte ich und setzte mich an den großen Holztisch. Getränke, ein paar Süßigkeiten und jede Menge Papier lagen vor mir auf dem Tisch. Ich fühlte mich sofort wohl. Die nette Atmosphäre im Hausboot verbreitete an dem doch sehr kalten Dezembertag eine angenehme Wärme. Schals, Mützen und Jacken wurden abgelegt, die Plätze füllten sich nach und nach und als ein paar Nachzüglinge das Slamboot betraten, wurde die Zimmerpflanze zur Seite geschoben und ein weiterer Tisch „angebaut“, damit auch alle gemeinsam Platz fanden und die Workshopleiterin gut sehen konnten. Hören war weniger ein Problem. Anna Lisa Azur begrüßte die Runde an dem bereits dunklen Samstagnachmittag mit einem beherzten und gut gelaunten „Moin!“. Bekannt als Kiezpoetin, Dorfkind, Moderatorin, Autorin und eben PoetrySlammerin, begleitete sie uns durch den Nachmittag.
Zu Beginn stellten wir einige Regeln für den gemeinsam Umgang auf: 1. Niemand wird ausgelacht 2. Jeder, der den Mut fasst, einen seiner Texte vorzutragen, erhält tosenden Beifall! Dann starteten wir mit einer ungewöhnlichen Vorstellungsrunde. Jeder suchte sich, passend zu dem ersten Buchstaben seines Namens, ein Adjektiv, dass ihn oder sie gut beschrieb, sowie ein zur Person passendes Tier. Ich stellte mich als witzige Wiebke Fuchs vor (da Fuchs mein Nachname war, fiel mir die Wahl des Tieres nicht besonders schwer). Neben mir saß die sensible Sabine Papageientaucher, gegenüber der mysteriöse Maximilian Hummel. Faultiere, Katzen, Fledermäuse, Adler, Wölfe, Bären und viele weitere witzige und charmante Charaktere ergänzten die Tischrunde und stellten sich einander vor.
Wir alle trafen mit verschiedenen Erwartungen beim Workshop ein. Einige hatten zuvor noch gar keine Berührungspunkte mit PoetrySlam und freuten sich auf ein kreatives Miteinander, andere kamen bereits mit eigenen Texten. Während manche sich über Tipps zum Schreiben freuten, wollten andere etwas über Bühnenpräsenz lernen. Es gab sogar zwei Teilnehmer:innen, die ins kalte Wasser sprangen und sich für den anschließenden Künstlerwettstreit angemeldet hatten. Ob mit Freunden, der eigenen Tochter oder allein – wir alle kamen an diesem Abend zusammen, um unsere Komfortzone zu verlassen, sympathische Menschen kennen zu lernen und den ein oder anderen „Kreativskill“ mit nach hause nehmen zu können. Es lag Nervosität und eine freudige Anspannung in der Luft.
„Heimat – ein Ort, ein Gefühl oder ein Mensch?[…], Heute spüre ich keinen Hass mehr, weil ich verstanden habe, dass Menschen dich nur verstehen, wenn sie sich selbst verstehen. Nicht jeder kann deine Tiefe von Gefühlen ertragen, weil er die Tiefe in sich selbst nicht erträgt, […]“
Lena Nicklas
Handys oder Tablets auf den Tischen? Fehlanzeige. Alle hörten aufmerksam zu und machten mit. Es kam kein Anflug von Langeweile auf. Niemand checkte gähnend die Uhrzeit auf dem Handy oder scrollte beiläufig durch Social Media. Das hatte ich schon lange nicht mehr erlebt und machte für mich diesen Abend zu etwas Besonderem. Die Aufmerksamkeit war einzig und allein Anna Lisa, unseren Texten und dem Kurs zu teil. Die einzigen Gerätschaften, die verwendet wurden waren analoge – nämlich Papier und Stift.
Anna Lisa machte Musik an. Zwei Lieder lang durften wir uns alle Gedanken von der Seele schreiben. Wir schrieben wie wir wollten und was wir wollten, ob in Reimform oder in Prosa. Da wir keinen der Texte unbedingt vortragen mussten, konnten wir einfach „drauflostexten“, ohne uns über Inhalt, Form oder Syntax Gedanken machen zu müssen. Nachdem wir unsere Blätter gefüllt hatten, folgte eine weitere Aufwärmübung. Wir stellten uns in die Form eines Rühreis (ein Ei wäre aufgrund der hohen Teilnehmeranzahl und der doch begrenzten Platzmöglichkeiten im Hausboot keine Alternative gewesen). Es flogen Boings, Heps und Fujis durch die Luft. Wir klatschten und gestikulierten, lachten und waren mit vollem Körpereinsatz dabei. Im Anschluss fühlte sich tatsächlich alles etwas lockerer an, die anfängliche Anspannung hatte sich gelöst. Wir konnten unbefangener miteinander reden und auch die letzten Reste noch anhaftender Winterdepressionen hatten wir vollends abgeschüttelt. Nun standen Schreibübungen auf Anna Lisas Plan. Als Thema erhielten wir das Wort HEIMAT. Auf einer DINA4-Seite notierten wir Worte, die wir persönlich mit dem Wort Heimat verbinden. Im Anschluss erhielten wir 20 Minuten Zeit, um einen Text zu verfassen. Auch hier stand uns völlig frei, ob wir Prosa oder ein Reimschema verwenden wollten.
Bevor wir unsere Texte vortragen durften, verließen wir alle wieder unsere Plätze und fanden uns in der bewährten Rühreiformation wieder. Anna Lisa zeigte uns ihre Bühnenlockerungsübungen. Und auch die waren alles andere als steif und gewöhnlich. Wir summten gemeinsam, klopften uns auf die Brust und setzten zusammen jede Menge Endorphine frei. In der sogenannten Siegerpose ausharrend, beendeten wir das kurze Bühnenaufwärmprogramm.
Nach und nach trugen wir uns gegenseitig unsere Texte vor. Auch hier galt: Jeder kann, keiner muss. Es kostete Überwindung, aber es lohnte sich. Die Zeilen waren sehr persönlich und emotional. Aber teilweise auch lustig. Es gab jede Menge Gänsehautmomente. Später hatten wir alle ein paar Tränchen in den Augen und waren Ergriffen von der schonungslosen Offenheit der Teilnehmer:innen. Es war ganz sicher ein besonderer Nachmittag. Von jetzt auf gleich wuchs eine fremde Gruppe in eine Vertrauensgemeinschaft zusammen, die sich über ihre Poesie miteinander verbinden konnte.
Eine Stunde später traf sich unsere Slam-Gruppe im Kulturzentrum wieder. Der Poetry-Slam begann. Bei Pfalzstoffbier und Weinschorle lauschten wir dem Kreativwettstreit auf der kleinen Bühne im Dôme. Bekanntere Slamgrößen und ganz frisch gebackene Slammer:innen teilten ihre Texte mit uns. Einige von ihnen hatten an diesem Abend ihren allerersten Auftritt. Vereinzeltes Fingerschnippen und tosender Powerapplaus rollten durch den Raum. Am Ende entschied die Applauslautstärke des Publikums, wer unter den Finalist:innen den Slam gewinnen sollte. Unter lautstarkem Beifall wurde Yasmin Abbas zur Siegerin des Abends gekürt. Mit Sieg, Ruhm und Ehre überschüttet, verließ die Gewinnerin am Ende des Abends die Bühne.
„Erinnerungen sind wie Inseln,
Heimelige Tagträume an frühere Zeiten.
Abstand vom Zerdenken, Ankommen beim Hochgefühl.
Augen schließen, alles und alle wiedersehen.
Mannheim, Eltern, Omas Wohnung, als wärs gerade jetzt.
Als könnte ich wieder so unbekümmert sein wie ein Kind.
Tränen schaffen Erleichterung, bevor ich wieder im Hier funktioniere.“
Sabine Ehret
Im Hemingways trafen Poet:innen auf Workshopper:innen und aßen zusammen zu Abend. Bei Kartoffelecken und Enchiladas, wurde mit einer heißen Schokolade oder einem Cocktail angestoßen. Zusammen ließen wir den ereignisreichen Abend ausklingen.
Was ich von dem Workshop mitnehmen konnte: Die Erkenntnis, dass Slamer:innen sympathische, witzige, emphatische und offene Menschen sind und, dass das Schreiben wie ein Muskel ist, den man trainieren kann. Umso öfter man schreibt, umso besser werden deine Texte.
Alle Fotos dieses Artikels stammen von der Gewinnerin Yasmin Abbas. Schaut doch mal bei ihr auf Instagram vorbei!
Text: Wiebke Fuchs
Erstmal: Sie arbeitet und schreibt seit August 2022 für das WOW-Team. Motiviert und engagiert stürzt sie sich in das Ludwigshafener Tag- und Nachtleben, um unseren Leser:innen von den vielen verschiedenen Angeboten in unserer City zu berichten. Denn seit rund einem Jahr wohnt und erkundet sie nun LU und hat festgestellt: Ludwigshafen ist WOW!