Zurück in die Nacht. Ein Beitrag vom bloq Magazin.

Zurück in die Nacht

EIN BEITRAG VOM BLOQ MAGAZIN

Sie sind schnell, laut und missverstanden: Eine lose organisierte Gruppe meist junger Männer jagen als sogenannte Autoposer ihren und den Bluthochdruck von Anwohnern in die Höhe. Wer sind sie – und wie grenzen sie sich ab? Wir sind eingetaucht in eine Welt aus Stahl, Chrom und Benzin. In der PS, Adrenalin und ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei das Leben bestimmen. Und manchmal den Tod bedeuten.

Alles beginnt mit einer Whats-App-Nachricht. Die Nummer, die auf dem Display auftaucht, kann wechseln, doch die Message bleibt: Heute Abend geht Action. Treffen in einer Stunde. Genaue Location folgt. Es ist ein Freitagabend in diesem Sommer 2021, an dem die Temperaturen steigen, die Coronazahlen sinken. „Heute haben alle Bock. Es gibt Treffen in Heilbronn, im Schwarzwald, später Heidelberg“, brüllt der Kontaktmann anderthalb Stunden später auf der Autobahn über den aufputschenden Soundtrack aus Motorengebrumme, scheppernden Boxen und Deutschrap hinweg. Neben dem Schaltknüppel wackelt eine Dose mit Energydrink beharrlich ohne einen Tropfen zu verlieren. Vor der Windschutzscheibe blinkt das Handydisplay unentwegt. Wir sind unterwegs zu einem kleinen Parkplatz, uneinsichtig gelegen in einem Wald. Dort sollen sie sich treffen: Fahrer sündhaft teurer Sportwagen und hochgetunter Boliden aus der Region. Sammeln, um dann gemeinsam die Autobahnen und Stadtkerne unsicher zu machen. Seit einigen Jahren geistert dafür ein Begriff durch die Medien, der bei den meisten Menschen für enerviertes Seufzen und eine klare Meinung steht: Autoposer. Mit ihren gechipten Motoren, den manipulierten Auspuffen und ohrenbetäubenden Musikanlagen rollen sie durch die Innenstädte des Rhein-Neckar-Gebiets. Fahren illegale Rennen, blockieren in Kolonnen die Autobahn.

Ärger, Lärm und Abgase

Durch die Corona-Pandemie hat sich die Problematik in der Umgebung weiterhin verstärkt. In Mannheim werden die Autoposer spätestens zum Politikum, als sich der Mittelpunkt von der Fressgasse und Kunststraße hin auf den Lindenhof verlagert. War die Innestadt an dieser Strecke ohnehin laut, trubelig und dreckig, treffen nun Blechlawinen auf eine 1-a-Mietenlage. Die Polizei muss handeln, und zwar schnell. Der damalige Polizeipräsident Stenger ist flux vor Ort, bevor er sich nach Stuttgart zum LKA verabschiedet. Kontrollen und Sperren sollen denen Einhalt gebieten, die hier keiner haben will. Zurück in die Nacht. Der Fahrer will eine Abkürzung über einen alten Truppenübungsplatz nehmen. Fährt von der Autobahn ab auf eine Raststätte, und gerade, als er auf einen Seitenweg einlenken will, bremst ihn die Polizei aus. Doch die Beamten haben hier und heute wichtigere Probleme als getunte Wagen. Sie zwingen zwar zur Umkehr, lassen aber ansonsten von uns ab. „Das geht nur so glimpflich aus, wenn sie es auf etwas anderes abgesehen haben“, sagt der Fahrer und manövriert den Wagen durch geparkte Lkws und davor kampierende Familien mit ihren Habseligkeiten zurück auf die Straße. Auf der Autobahn geben uns immer wieder entgegenkommende Fahrzeuge Lichthupen. Man kennt sich untereinander, die Szene ist gut vernetzt. Doch welche Szene eigentlich genau? Nicht jeder, der viel Geld in einen Sportwagen steckt, ist ein Poser. Nicht jeder, der einen über die Grenze motorisierten Pkw hat, ist ein Autotuner. Und nicht jeder, der leidenschaftlich an seinem Auto schraubt, tut damit direkt etwas Zulassungswidriges. 

Für Außenstehende mag das alles eine Gruppe sein – doch intern herrscht ein kleiner Krieg. Inzwischen haben wir die A6 verlassen.  Landstraße, es wird gedrängelt, dicht aufgefahren, überholt. Und dann verschluckt uns die Dunkelheit. Auf einem versteckten Parkplatz, von der Straße nicht einsehbar, warten schon die anderen. Etwa zehn Autos parken hier. Ein Mustang, 320 PS; ein Audi A4, 400 PS, ein BMW M4, 600 PS. Im Scheinwerferlicht stehen hauptsächlich junge Männer, man begrüßt sich mit Faustschlägen. Es wird geraucht, begutachtet, die Gespräche reichen von flachen Witzen bis hin zu Tech-Talk.

Später werden sie nach Heidelberg weiter fahren. In Formation auf der Autobahn. So schnell, dass nur ihresgleichen mitkommen. Dann den Weg zum „Bisi“ einschlagen. So breit, dass keiner außer ihresgleichen mehr durchkommt. Es ist eine Machtdemonstration. „Wir machen das einfach, weil wir können“, sagt der Informant mit einem Grinsen. Es geht um Stress, Chaos und Krawall. Um ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Cops. Nach einigen Runden um den Bismarckplatz fährt ein Taxi in eines des Fahrzeuge. Kommuniziert wird ab diesem Moment nur noch über Telefon – und von Fenster zu Fenster. In den Chat- Gruppen lesen zu viele Beamte mit. Als am Unfallort ein Streifenwagen auftaucht und sich Polizisten auf Motorrädern an einen silbernen Kombi heften, verstreut sich die Gruppe innerhalb weniger Minuten.

60 Prozent Können, 40 Prozent Glück

Es geht nicht immer so glimpflich aus. An Wochenenden und in den Ferien kommen täglich Polizeimeldungen über illegale Rennen mit teils verheerenden Unfällen. Die Fahrer verdienen damit auch Geld. Sie wetten untereinander, es werden Einsätze auf die Köpfe gesetzt. Der Sieger steigt immer weiter auf. „Das ist 60 Prozent Können und vierzig Prozent Glück“, kommentiert einer, der lieber anonym bleiben will, die Verfolgungsjagden über Autobahnen. Ihre Öffentlichkeit machen sie zu unkalkulierbaren Gefahrenquellen für unfreiwillig beteiligte Verkehrsteilnehmer. Fährt das Risiko, zu Sterben oder andere zu gefährden, nicht ständig mit? „Doch, aber es ist den Fahrern einfach egal“, lautet die schwer zu akzeptierende Antwort.

Auch wenn die Rennen mit der Poser-Szene verknüpft ist, so ist es doch nur ein kleiner Teil dieser PS-affinen Clique. Organisiert sind sie in Chat-Gruppen mit gerne über 150 Mitgliedern. Vernetzen sich über Facebook, Instagram, Whatsapp. Einer, nennen wir ihn Daniel, sagt: „junge Leute wollen sportliche, dicke Autos. Man lebt nur einmal, also sollte man sich etwas gönnen. In ein paar Jahren existieren Kinder (…); da bleibt das übrige Geld für so ein Auto nunmal nicht.“ Die Behörden sagen etwas anderes. In Baden-Württemberg wurde im Mai das Kompetenzteam „Posing“ eingerichtet. „ Autoposing ist kein Spaß, sondern sinnlos, verantwortungslos und rücksichtslos. Deshalb schieben wir dieser Szene jetzt einen Riegel vor, mit konsequenten Kontrollen und maßgeschneiderten Konzepten“, so Innenminister Thomas Strobl (in einer Mitteilung des Landes Baden-Württemberg, die eher einer Kampfansage gleicht). „Mit einem Kompetenzteam Posing sorgen wir dafür, noch entschiedener, zielgerichteter und mit geballten Kräften der Posing- und Tuning-Szene flächendeckend den Saft abzudrehen.“ (Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz schlug in die gleiche Kerbe: „Wir wissen sehr genau wie sich eine Posing-Szene erfolgreich bekämpfen lässt. Das zeigen die Erfolge in Mannheim und Stuttgart.“ Tun sie das? In Mannheim versucht die Polizei schon länger, mit ihrem Vorgehen auf den Posermeilen der Stadt und regelmäßigen Kontrollen, Herr der Lage zu werden. Die Erfahrungen der Quadrate- und der Landeshauptsadt sollen nun zumindest durch das neu gegründete Team auf die Beamten im ganzen Land übertragen werden.) „Diese Polizeikontrollen und alles andere sind total überflüssig“, findet jedoch Daniel. „Es wird niemals enden, nie. Jedes Jahr gibt es neue Autofahrer die mit dicken Autos durch die Gegend fahren. Die Absperrung die in der Stadt gebaut wurde (die Schranke an der Kunststraße Anm. d. Red.) lenkt nur den Verkehr in andere Ecken der Stadt. Runden drehen kann man trotzdem.“

Vier Tonnen Stahl

Ordnungshüter, Anwohner, andere Verkehrsteilnehmer – sie alle sind Leitragende. Doch auch einer ganz anderen Gruppe ist dieses Verhalten ein Dorn im Auge. „Sie sind wie eine Heuschreckenplage“ zischt Philipp. „Diese Autoposer nehmen unserer Tuning-Szene alle Treffpunkte weg.“ Rückblick auf einen späten Abend im frühen Sommer. Über Social Media hat sich der Kontakt zu einem Tuner ergeben, der reden will. Sein Profil ist offensichtlich ein Fake, er schlägt ein Treffen auf einem abgelegenen Feldweg vor, man kann sich letztendlich auf einen Parkplatz in einem Mannheimer Vorort einigen. Zur verabredeten Zeit ist kein auffälliges Auto zu erkennen. Auf dem regennassen Handydisplay tauchen weitere Nachrichten auf. War das alles ein Scherz? Doch dann wird plötzlich die Nacht erleuchtet. Flutlicht brennt in den Augen, mehrere Motoren heulen auf und umrunden den Platz; die Orientierung schwindet. Und dann kommt ein kastiger, riesiger Wagen zum Stehen. Die Pupillen registrieren noch zwei in der Dunkelheit verschwindende Wagen und dann steht da auch schon ein ebenso massiger Typ als Umriss vor den grellen Scheinwerfern. Philipp, 26, ist der Anführer einer Tuning-Gruppe. Gekauft hat er den Bus für 900 Euro von einem Porno-Produzenten aus der Region. Die Arbeitsstunden, die er in den T4 gesteckt hat, kann man nicht zählen. Erinnert irgendwie an ein improvisiertes Gefährt in einem Krisengebiet. Es sind vier Tonnen Stahl, angemalt in grauem Camouflage. Im Inneren ist die Decke mit Tarnnetzen bespannt, an der Rücklehne baumelt ein leerer Waffen-Holster. 

Auf der einzigen Rückbank im Heck ist ein Kindersitz befestigt, auf dem verlegten Laminat scheppern leeren Dosen. Es riecht nach Shisha und Zigaretten. „Das Auto ist die Verlängerung von dir“, sagt Philipp. „Du kannst damit zeigen, wer du bist.“ Er und sein Club, sie sind gute Jungs. Und Mädels. Die Jüngste ist gerade 20 geworden; sie alle eint die Liebe zu ihrem Fahrzeug. Sie sehen sich fast als Antithese der oberflächlichen Poser – bei ihnen zählt nicht, wie viel Geld und PS unter der Motorhaube stecken, sondern wieviel Arbeitsstunden und Leidenschaft. Sie helfen einander, reparieren die Autos, sammeln auch mal Geld, falls was kaputt geht. Philipp gründete den Club mit 15 aktiven Mitgliedern. Die Satzung hat er selbst verfasst, wer sich nicht dran hält, fliegt raus. Konkret: Politik und Feindlichkeiten haben keinen Platz bei ihm. Seine Biografie, sie ist auch eine Ruhrpott-Geschichte. Schnelle Autos, stundenlanges Schrauben, der Geruch nach Öl – Philipp wird damit groß. Er wächst bei seinen Großeltern in Bochum auf. Zu seinen Eltern hat er keinen Kontakt. Sein Opa malocht bei den Opel-Werken, alte Zechen, Fließbänder, wirtschaftlicher Untergang. Seinen Führerschein hat der Junge direkt mit 18, der Opa schenkt ihm zur Volljährigkeit das erste Auto. Führerschein und Pkw – beides halten genau zwei Stunden. „Sieh’ zu dass du außer Scheiße allein rauskommst“, ist der einzige Kommentar seines Großvaters, als er ihn vom Revier anruft. Seinen Führerschein hat er nach ein paar Jahren wieder, die Scheiße aber bleibt. Philipps Vorliebe für schnelle Autos kostet Geld. Das verdient er als Mechatroniker – und mit illegalen Rennen. Bis sein bester Freund die Kontrolle über seinen Wagen verliert. Philipp organisiert die Trauerkolonne, an der über 500 Autos teilnehmen. 

Ein Stück Felge des verunfallten Wagens hängt seitdem am Rückspiegel seines Buses. Eine Mahnung, ständig schaukelnd im Blickfeld. „Wenn ich einen Streifenwagen sehe, weiß ich schon, dass er mich anhalten wird“, erklärt Philipp. Dabei sei er doch einer der Guten, sagt er auch. Neben familiären Tuning-Treffen, auf denen auch der Nachwuchs zwischen den bunten Autos herumspringen, organisiert er auch Benefizveranstaltungen für Kinderhospize und Sternenkinder. Er hat eine eigene Halle, in der er mit Kollegen tüfteln kann. Die aber auch Rückzugsort und Versteck für seine kleine Szene ist. Denn seit die Poser das öffentliche Ärgernis erregen, ist auch die Ruhe der Tuner in Gefahr. Zu schwer ist für Außenstehende die Unterscheidung. Zurück in Heidelberg. Der neue Treffpunkt in dieser Nacht mit den Posern ist ein Supermarkt- Parkplatz in einem Ortsteil unweit der Innenstadt. Dort werden die Neuzugänge begutachtet. Manche der Fahrer wechseln ihr Autos wie andere ihre Sneaker. Nicht alle, aber viele haben hohe Kredite. Am Tag wird gearbeitet, am Abend steht dank Mercedes’ jungem Sterne Paket der AMG vor der Tür. Es gibt viel zu besprechen. Was kann wie gedreht werden, damit die Karre noch durch den TÜV kommt? Welche Felgen passen am besten zur Form des Autos? Auf einmal sind viele Mädchen um die Jungs aufgetaucht. Es mag veraltet vorkommen, aber dennoch scheint hier Geld = Auto = Frauen eine gültige Gleichung zu bleiben. Weiterfahrt zum Hotel Luxor. Ein einzelner Typ gibt eine kurze Kostprobe seiner Driftkünste. Highlight dabei: der Beifahrer im Kofferraum. Instagram Profile werden ausgetauscht. Es fällt auf, dass es oft um Zahlen geht. Follower, PS, Bassleistung. Alles numerisch kategorisiert. Es trumpft, wer hoch sticht. Einer der Kolonnenführer trägt eine tätowierte Königskrone auf seinem Handrücken. Auf Nachfrage heißt es, dass ihm noch die Königin dazu fehle. Sind das mit Beweggründe für das alles? Stellte man Philipp, den Tuner, vor die Wahl ‚Auto oder Freundin‘, so könne er sich nicht entscheiden, sagt er. Einen Heiratsantrag hat er ihr trotzdem gemacht. Den Ring hat er ihn abends angesteckt, auf einem Tankstellenparkplatz. Umgeben von seinem Club.

Text: Anna Suckow

Anna fasst sich gerne kurz und hasst trotzdem Twitter. Dafür hört sie gerne zu – am liebsten Menschen mit skurrilen Geschichten. Die wollte sie schon immer mit ihrer großen Liebe für bildgewaltige Magazine vereinen. Außerdem mag sie das Internet, Katzen und Pfannkuchen.

Bilder: Maximilian Borchardt

Max sieht seine Fotos gerne auf Papier, nicht nur auf dem Bildschirm oder einem Negativ. Noch besser, wenn es um Inhalte geht! Als Zugezogener staunt er oft über die Region. Außerdem steht er auf Hunde, Kameras und Western.

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