Wir werden bis zur Sonne gehen. Pionierinnen der geometrischen Abstraktion

Wir werden bis zur Sonne gehen. Pionierinnen der geometrischen Abstraktion

Das Wilhelm-Hack-Museum präsentiert vom 16. November 2024 bis zum 21. April 2025 eine wegweisende Ausstellung, die die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts in einem neuen Licht erscheinen lässt. Unter dem Titel „Wir werden bis zur Sonne gehen. Pionierinnen der geometrischen Abstraktion“ rückt das Museum erstmals die bedeutende Rolle von Künstlerinnen in der Entwicklung der geometrischen Abstraktion in den Fokus.

Die Ausstellung, kuratiert von Dr. Astrid Ihle und Julia Nebenführ, umfasst mehr als 200 Werke von 62 Künstlerinnen und spannt einen faszinierenden Bogen von der russischen Avantgarde über das Bauhaus bis hin zur globalen Etablierung der geometrischen Abstraktion nach 1945. Auf einer Ausstellungsfläche von rund 1.000 Quadratmetern entfaltet sich eine beeindruckende Reise durch ein Jahrhundert weiblicher Kreativität und Innovation.

In sieben thematischen Kapiteln erzählt die Ausstellung die Geschichte der geometrischen Abstraktion aus der Perspektive ihrer weiblichen Vertreterinnen. Das erste Kapitel Experimentierfreude und Innovationskraft beleuchtet die Entwicklung einer gegenstandslosen Formensprache in der russischen Avantgarde. Künstlerinnen wie Ljubow Popowa, Olga Rosanowa, Warwara Stepanowa und Alexandra Exter stehen im Mittelpunkt. 

Ihre Werke, die von energiegeladener Malerei bis hin zu revolutionären Textilentwürfen und Bühnenbildern reichen, zeigen, wie unmittelbar der Alltag mit Kunst durchdrungen wurde. Im zweiten Kapitel Die weibliche Bauhaus-Moderne wird die oft übersehene Rolle der Frauen am Bauhaus gewürdigt. Obwohl Studentinnen zugelassen waren, arbeiteten sie hauptsächlich in als weiblich konnotierten Bereichen wie der Webereiklasse. Künstlerinnen wie Gunta Stölzl und Anni Albers revolutionierten die Webtechnik mit ihren radikal geometrischen Textilarbeiten. Auch Marianne Brandt, Alma Siedhoff-Buscher und Lucia Moholy entwickelten eine abstrakte Formsprache, die das Bild vom Bauhaus nachhaltig prägte. Das dritte Kapitel Radikale Abstraktion konzentriert sich auf Paris als Zentrum der internationalen Kunstszene. Hier trafen verschiedene Auffassungen abstrakter Kunst aufeinander. Sonia Delaunay übertrug ihre auf Farbkontrasten basierende abstrakte Malerei auf Grafik-, Textil- und Modedesign. Sophie Taeuber-Arp entwarf Gebrauchsgegenstände und Innenarchitekturen nach den gleichen geometrisch-abstrakten Prinzipien wie ihre späteren Gemälde. Ab den 1940er-Jahren etablierte sich die geometrische Abstraktion als globales Phänomen. Neben Paris wurden Städte wie Mailand, São Paulo, Havanna und Montevideo zu Zentren einer neuen Avantgarde. Eine neue Generation von Künstlerinnen knüpfte an die Errungenschaften der 1920er- und 1930er-Jahre an, wobei das Experimentieren mit neuen Formen, Materialien und Techniken im Vordergrund stand. Behandelt wird dies im Kapitel Globale Aufbrüche.

In System und Leichtigkeit stehen serielle Ordnungsprinzipien im Mittelpunkt. Künstlerinnen wie Judith Lauand, Hedi Mertens, Vera Molnar und Lygia Pape suchten mit mathematischen und seriellen Kompositionen nach neuen Bildlösungen. Dabei verbanden sie oft rationale Strenge mit intuitiven Elementen, was zu Kompositionen von spannungsvoller Leichtigkeit führte.

Es folgt Das Spannungsfeld von Farbe und Form, in dem die Farbe als zentrales bildgestaltendes Element untersucht wird. Die Ausstellung zeigt, wie Farbe verschiedene Bildebenen erzeugen, Rhythmen entstehen lassen oder durch Reduzierung spannungsvolle Kompositionen schaffen kann. Ein Beispiel hierfür ist die Hard-Edge-Malerei von Carmen Herrera. Das siebte und letzte Kapitel Bewegte Geometrien konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Werk und Betrachter. Gemälde und Objekte der Op-Art demonstrieren die zentrale Bedeutung der Wahrnehmung in der geometrischen Abstraktion. Die partizipativen Skulpturen von Mary Vieira und Lygia Clark zeichnen sich durch die aktive Teilnahme der Betrachter aus.

Die Ausstellung versammelt internationale künstlerische Positionen mit Leihgaben aus privaten und öffentlichen Sammlungen sowie Werke aus der Sammlung des Wilhelm-Hack-Museums. Sie bietet einen umfassenden Überblick über die Beiträge von Künstlerinnen zur geometrischen Abstraktion und zeigt, wie diese oft radikaler und innovativer als ihre männlichen Kollegen waren.

Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Hirmer Verlag. Diese reich bebilderte Publikation enthält Beiträge von renommierten Kunsthistorikerinnen und -historikern wie Julia Voss, Maria Lluïsa Faxedas, Julia Nebenführ, Andrea Giunta und Astrid Ihle in deutscher und englischer Sprache. Der Katalog verspricht, ein wichtiges Referenzwerk für die Neubewertung der Rolle von Künstlerinnen in der geometrischen Abstraktion zu werden. Die Ausstellung und der Katalog werden von namhaften Institutionen gefördert, darunter die BASF SE, die Art Mentor Foundation Lucerne, die Rudolf-August Oetker-Stiftung und die Ernst von Siemens Kunststiftung. Diese breite Unterstützung unterstreicht die Bedeutung und den innovativen Charakter des Projekts.

„Wir werden bis zur Sonne gehen. Pionierinnen der geometrischen Abstraktion“ ist somit mehr als nur eine Ausstellung – sie ist ein Meilenstein in der Neubewertung der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Indem sie die oft übersehenen oder marginalisierten Beiträge von Künstlerinnen in den Mittelpunkt rückt, eröffnet sie neue Perspektiven auf eine der einflussreichsten Kunstbewegungen unserer Zeit.

Für Kunstliebhaber, Studierende und alle, die an der Neubewertung künstlerischer Beiträge interessiert sind, ist diese Ausstellung ein Muss. Sie bietet nicht nur ästhetischen Genuss, sondern auch die Möglichkeit, die Entwicklung der modernen Kunst aus einem neuen, inklusiveren Blickwinkel zu betrachten.

Text:
Lena Beslmeisl

Gebürtige Lampertheimerin und seit September 2024 sesshaft in Mannheim. Im September 2024 wurde sie Teil des WOW-Teams und macht sich seitdem auf die Reise nach spannenden Eindrücken in Ludwigshafener Kunst und Kultur.

Text: Andreas Heinrich

Gebürtige Lampertheimerin und seit September 2024 sesshaft in Mannheim. Im September 2024 wurde sie Teil des WOW-Teams und macht sich seitdem auf die Reise nach spannenden Eindrücken in Ludwigshafener Kunst und Kultur.

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